Patientenaufklärung kann entbehrlich sein – Zeitlicher Abstand darf aber nicht zu groß sein

Patientenaufklärung kann entbehrlich sein – Zeitlicher Abstand darf aber nicht zu groß sein

Vor einer medizinischen Maßnahme, insbesondere vor einem Eingriff in den Körper oder die Gesundheit, sind Behandelnde verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen (vgl. § 630 d Abs. 1 S. 1 BGB). Behandelnde sind darüber hinaus verpflichtet, Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären (vgl. § 630 e Abs. 1 S. 1 BGB).

Eine nicht erfolgte oder fehlerhafte Aufklärung kann dazu führen, dass der ärztliche Eingriff ohne wirksame Einwilligung der Patientin oder des Patienten erfolgt. Doch in manchen Fällen kann die Aufklärung des Patienten entbehrlich sein, etwa wenn die Maßnahme unaufschiebbar ist oder der Patient ausdrücklich auf die Aufklärung verzichtet.

Darüber hinaus können auch besondere Umstände eine Aufklärung entbehrlich machen (vgl. § 630 e Abs. 3 BGB).

Ein solcher Fall beschäftigte zuletzt den Beschwerdeausschuss der Ärztekammer Bremen. Bei einem Patienten wurde in einem zeitlichen Abstand von zwei Monaten an beiden Augen eine Kataraktoperation vorgenommen. Eine Aufklärung erfolgte nur vor dem ersten Eingriff. Lag hier ein Verstoß gegen die ärztliche Aufklärungspflicht vor? Unter bestimmten Voraussetzungen ist dies nicht der Fall: Es muss sich um eine gleichartige Behandlung desselben Leidens ohne geänderte Risiken handeln, über die der Patient in einem nicht zu weit zurückliegenden, früheren Zeitpunkt bereits aufgeklärt worden ist.

Diese Voraussetzungen waren hier erfüllt. Bei beiden Augen wurde dieselbe Operationsmethode angewendet. Gesonderte Risiken aufgrund besonderer medizinischer Umstände des zweiten Auges bestanden nicht. Des Weiteren war der Patient vor zwei Monaten ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Zu groß darf der zeitliche Abstand zwischen den Eingriffen allerdings nicht sein. Bei der Frage, wie groß der Abstand sein darf, ist die Rechtsprechung uneinheitlich. Das OLG Köln hat beispielsweise eine erneute Aufklärung über die Risiken einer intraarteriellen Angiographie mit Stent-Einlage etwa zwei Jahre nach einem gleichartigen Eingriff für entbehrlich angesehen. Aus Sicht des OLG Dresden sei davon auszugehen, dass dem Patienten bei einem zeitlichen Abstand von mehr als sechs Monaten zwischen Aufklärung und Eingriff, die Vor- und Nachteile sowie die Risiken eines Eingriffs nicht mehr gegenwärtig seien.

Ein aktueller Anwendungsfall stellt die Zweitimpfung gegen COVID-19 dar. Sofern die empfohlenen Impfabstände eingehalten werden, es sich um denselben Impfstoff wie bei der Erstimpfung handelt und es keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse oder Empfehlungen gibt, bedarf es für die Zweitimpfung keiner neuerlichen Aufklärung.

Ein weiterer praktischer Anwendungsfall sind Dauerbehandlungen. Das OLG Köln etwa hat die erneute Risikoaufklärung eines wegen Schulterbeschwerden in Dauerbehandlung befindlichen Patienten für entbehrlich angesehen. Die Aufklärung einer zu einem früheren Zeitpunkt erfolgten Aufklärung wirke fort, wenn sich die Patientin immer wieder gleichartigen Behandlungen unterzogen und sich die Risiken immer wieder ins Bewusstsein gerufen hat.

Aufgrund der weitreichenden rechtlichen Konsequenzen einer nicht ordnungsgemäßen Aufklärung und damit unwirksamen Einwilligung empfiehlt die Ärztekammer allerdings, bei einem längeren Abstand zwischen Aufklärungsgespräch und Eingriff stets zu prüfen, ob bei der Patientin oder dem Patienten die Aufklärung noch in voller Erinnerung ist. Ein solches „Orientierungsgespräch“ sollte in jedem Fall dokumentiert werden. Konsequenterweise sollte der Arzt oder die Ärztin natürlich auch das vorangegangene ordnungsgemäße Aufklärungsgespräch in seiner Dokumentation nachweisen können.

Gewinnt die Ärztin oder der Arzt allerdings aufgrund von Verständigungs- oder Verständnisproblemen den Eindruck, dass die Patientin oder der Patient nicht mehr über das notwendige Vorwissen für eine wirksame Einwilligung verfügt, ist die Aufklärung in jedem Fall vollumfänglich zu wiederholen.


Quelle: https://www.aekhb.de/kontext/archiv/2/53/index.html

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