10.06.2021

Der Beitrag wurde zuerst in der Printausgabe des Magazins RESONANZ (06/2021) veröffentlicht.

Bei internationalen Grundschul-Lese-Studien wie IGLU liegen die Viertklässler aus Russland bei Lesen und Textverständnis an der Spitze. Kein Wunder, die meisten Mädchen und Jungen in Russland können schon bei der Einschulung lesen und rechnen. Woran liegt es? Wir haben uns mit dem Thema beschäftigt.

Kinder, die vor Schuleintritt bereits lesen, schreiben oder rechnen wollten und konnten, hat es schon immer gegeben. In Russland, wo die Kinder mit sechs oder sieben Jahren eingeschult werden, braucht ein Kind offiziell keine Vorkenntnisse, um in die Schule zu gehen. Es ist aber üblich, dass der Nachwuchs bereits im Vorschulalter das ABC und das kleine Einmaleins erlernt.

Das Land der Babuschkas

Das Vorlesen von Geschichten, Bilderbüchern und Märchen bleibt dabei meistens Aufgabe und Privileg der Großeltern. Irgendwann merkt das Kind, dass sich etwas Spannendes hinter den schwarzen Zeichen versteckt, und es will diese Buchstaben kennenlernen. Vor allem die Omas, im russischen liebevoll „Babuschka“ genannt, kümmern sich darum, dass die Nachkommen immer früher Lesen und Schreiben lernt. „Gott kann nicht alles überblicken, daher schuf er die Babuschkas“, lautet ein russischer Scherz, der die Bedeutung der Omas in der russischen Gesellschaft und bei der Erziehung charakterisiert.

Mit Krilow-Fabeln zum Erfolg

Vielleicht liegt es aber auch an der größeren Verehrung für Literatur, dass die russischen Grundschüler gut lesen können. Es dürfte schwer fallen, einen Viertklässler zu finden, der keine Puschkin-Gedichte oder Krilow-Fabeln auswendig gelernt hat, weil das zum klassischen Bildungsideal gehört. Die Kinder lernen dabei übrigens durchaus fürs Leben: Verse zu rezitieren gehört zur russischen Festkultur.

"Omas Alphabet" von Zarin Katharina

Das russische Alphabet hat 33 Buchstaben und stellt eine Variante des kyrillischen Alphabets dar. Zum Lesenlernen wird eine Fibel benutzt, sie heißt Bukwar oder Azbuka (entspricht dem deutschen ABC). Die erste solche Fibel wurde von der Zarin Katharina die Große (1729-1796) persönlich erstellt, um den kleinen Großherzögen Alexander und Konstantin die russische Sprache, Grammatik und das Lesen beizubringen. Das „Omas Alphabet“ der Kaiserin war gleichzeitig ein ABC-Buch und ein Buch zum Lesen. Das Buch erschien 1781 in St. Petersburg mit einer Auflage von 20.000 Exemplaren und war in nur zwei Wochen komplett ausverkauft. Das Original-Manuskript wird heute im russischen Staatsarchiv für antike Dokumente aufbewahrt.

IGLU-Studie 2021

Mit IGLU wird international vergleichend das Leseverständnis von Schülerinnen und Schülern der vierten Jahrgangsstufe getestet. Im Zentrum stehen dabei nicht die individuellen Leistungen der einzelnen Schülerinnen und Schüler, sondern die Leistungsfähigkeit von Bildungssystemen im internationalen Vergleich. Die Ergebnisse der IGLU-Lesestudie von 2021 werden voraussichtlich Ende des Jahres 2022 veröffentlicht.

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